Was ist Anthroposophie ?

Anthroposophie ist das Erwecken von Fragen an das Dasein, nicht das Geben von Antworten!

 

Anthroposophie  geht von der Selbsterfahrung des Menschen aus, dass er ein Geist unter Geistern - seinen Mitmenschen - in einer physischen Welt ist, die auch von physisch- ätherischen Wesen,- den Pflanzen - und von physisch- ätherisch-seelischen Wesen - den Tieren bewohnt ist. Dies ist aber nicht theoretisch, sondern praktisch gemeint! Deshalb ist Anthroposophie ein Kulturimpuls.  

 

Die Erfahrung der geistigen Natur des Menschen wird in der Anthroposophie zum Ausgangspunkt eines Erkenntnisweges, der schließlich die gesamte Außenwelt des Menschen, also den gesamten Kosmos, zum Anlass eines grenzenlosen Staunens, Erkennens und Fragens werden lässt.

 

Man kann dies auch anders ausdrücken: Anthroposophie ist deshalb interessant, weil sie die Moderne, d.h. die Naturwissenschaft und ihre Philosophie, nicht ablehnt, aber als Einseitigkeit charakterisiert, die erst dann überwunden wird, wenn der Mensch seinen Geist zu dem umfassenden Wissen von Seele und Geist erhebt, das uns in den großen Zeugnissen und Dokumenten der Weltreligionen überliefert, heute aber durch die materialistische Lebenslüge aller großen Kulturnationen für uns verdorben und kaum noch verstehbar ist.

 

Was ist das, die große Lebenslüge aller heutigen großen Kulturnationen?

Es ist die Lüge vom physischen Ursprung der Menschheit, die jegliche Selbst-Erkenntnis des Menschen und  seines evolutiven Werdens und Jetzt-Seins untergräbt

 

Rudolf Steiner (1861 - 1925), der Begründer der Anthroposophie, drückte dies in seinem letzten Lebensjahr mit den folgenden Worten aus:

 

„Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Sie tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf. Anthroposophie muss ihre Rechtfertigung dadurch finden, dass sie diesem Bedürfnisse des Menschen Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüte heraus suchen muss. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.“ (Anthroposophische Leitsätze, Dornach 1925, GA 28)

 

Die für eine oberflächliche Betrachtung einheitliche Menschenwesenheit stellt sich aus anthroposophischer Sicht als ein heterogenes, uneinheitliches Wesen dar, in dem drei verschiedene Wirklichkeiten zu einer weltumspannenden Einheit verbunden sind:

 

1. Die geistige Wirklichkeit des Menschen.

 

2. Die seelische Wirklichkeit des Menschen.

 

3. Die physische Wirklichkeit des Menschen.

 

Die menschliche Wesenheit steht also  vor der Aufgabe, den Abgrund zwischen der geistigen und der physischen Welt zu überbrücken, weil sie in sich selbst dreifach zusammengesetzt, also ein Bürger dreier Welten ist:

1- Der geistigen Welt.

2. Der seelischen Welten

3. Der physischen Welt

 

Die geistige Wesenheit des Menschen ist weder räumlich, noch zeitlich beschreibbar und entstammt einer ebenso überräumlichen wie überzeitlichen Welt, die in der Anthroposophie als die Geistige Welt oder auch der Geistige Kosmos bezeichnet wird, der vor dem physischen Kosmos vorhanden war, wie dies z.B. im Johannes - Evangelium als die so genannte " Logos-Lehre" mitgeteilt wird:

 

"IM URBEGINNE WAR DAS WORT,

UND DAS WORT WAR BEI GOTT,

UND NICHTS IST OHNE DAS WORT GEWORDEN."

 

Was ich in der nun folgenden Auseinandersetzung sagen werde, kann ich nur sagen, indem ich mich auf die Anthroposophie Rudolf Steiners (1861-1925) stütze. Es wird aber dabei darauf von mir geachtet werden, dass alles, das ich dieser Quelle entnehme, wahr ist, d.h. anhand historischer Dokumente belegbar und logisch nachvollziehbar ist. 

Dies klingt zunächst anmaßend, wofür ich mich aber dadurch zu entschuldigen weiß, dass die vom Leser dabei empfundene Anmaßung nur aus der oben bereits mit Namen genannten Lebenslüge, nicht aber aus irgendwelchen, dem Leben zu entnehmenden Tatsachen  entspringt.

 

Im Wesentlichen werde ich dabei so vorgehen, dass ich die im Geiste Darwins von Rudolf Steiner entdeckten Phänomene der Menschheitsentwicklung stadiengerecht als die Stufen eines Entwicklungsprozesses schildere und daraus eine anthroposophisch begründete Kritik der historisch und gegenwärtig gegebenen  Kulturphänomene der Menschheit ableite.

Für dieses Verfahren und seine Zielsetzung ist es  zweitrangig, ob die hier dargestellte Stadieneinteilung der Menschheitsevolution ausschließlich von Rudolf Steiner entdeckt wurde, oder ob sie bereits in älteren Darstellungen gegeben ist. Denn einzig und allein ist für den Zweck dieser Übersicht von Bedeutung, dass die Lebenslüge aller großen Kulturnationen der Welt in ihrer zerstörerischen Wirkung auf den Menschen klar erkennbar wird und dass sich eine Perspektive ergibt, die einen Ausweg der Menschheit aus ihren Lebenslügen sichtbar macht.

Mit anderen Worten: Es geht darum, eine praktische Beseitigung  aller Lebenslügen und ihrer Gefahren zu erreichen und nicht darum, sich eine Selbsterhöhung anzumaßen.

 

Die zu betrachtende Zeitspanne, innerhalb derer die Ursachen und Folgen der Menscheitsenwicklung erkennbar und überwindbar sind, beginnt mit dem Übergang der Species Mensch zur aufrechten Körperhaltung, die erstmalig ermöglicht, die Hände  für die Kulturtätigkeit von den Trieben und Instinkten der Fortbewegung freizustellen, und darauf aufbauend die Ernährungs- und Atmungsorganisation durch die symbolische Repräsentation der Welt in Mimik, Gestik, Sprache, Dichtkunst, Musik, Wissenschaft, Malerei, Plastik, Architektur u.s.w. dahingehend weiter zu entwickeln, dass der Geist im Menschen Herr über die Seele und den Leib und damit zum Schöpfer der Willensfreiheit wird.

 

Der bisher vollzogene kulturelle Aufschwung der Menschheit ist hart im Kampf ums Dasein errungen worden, wird aber sein Ziel nur erreichen, wenn an die Stelle des Kampfes die gegenseitige Hilfe getreten ist.

Hierzu ein Zitat aus einem Vortrag Rudolf Steiners aus dem Jahre 1905:
»Sehen wir uns einmal den Zweck des Kampfes an, ob der Kampf um des Kampfes willen in der Weltenordnung da ist. Was ist denn geworden aus dem Kampf der Arten? Es sind diejenigen Arten übrig, welche sich am meisten gegenseitig unterstützen, und diejenigen, welche unter sich am kriegerischsten waren, zugrunde gegangen sind. So lautet das Naturgesetz. Daher müssen wir sagen, dass in der äußeren Natur der Fortschritt in der Entwicklung darin besteht, dass an die Stelle des Kampfes der Friede tritt. Da wo die Natur an einem bestimmten Punkte, an dem großen Wendepunkte angelangt ist, da herrscht in der Tat der Ausgleich. Der Friede, zu dem sich der ganze Kampf durchgebildet hat, ist also bereits vorhanden. Bedenken Sie doch einmal, dass Pflanzen untereinander als Arten einen Daseinskampf führen. Aber bedenken Sie, wie schön und großartig sich das Pflanzen- und Tierreich jeweils in ihrem gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess gegenseitig unterstützen: Das Tier atmet Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus, die Pflanze atmet Sauerstoff aus und Kohlendioxid ein. So ist ein Friede des Universums möglich.

Was die Natur auf diese Weise durch ihre Kraft hervorbringt, ist für den Menschen bestimmt, dass er es bewusst aus seiner individuellen Natur hervorbringe. [...]

Wir haben ja gesehen, dass die gegenwärtigen Arten der Tiere durch ihre gegenseitige Hilfe zu ihrer Vollkommenheit sich entwickelt haben, und dass der Kampf nur von Art zu Art gewaltet hat. Wenn aber die menschliche Individualität qualitativ dasselbe ist wie die Gruppenseele der Tiere, dann wird die menschliche Seele zu einem Selbstbewusstsein nur kommen können, indem sie den selben Kampf durchmacht wie die Tiere draußen in der Natur. Solange der Mensch noch nicht die Selbständigkeit ganz entfaltet hat, solange wird der Kampf noch dauern. Aber der Mensch ist dazu berufen, in bewusster Weise das zu erreichen, was draußen auf dem physischen Plane da ist. Daher wird es ihn führen auf den Bewusstseinsstufen seines Reiches zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung, weil das Menschengeschlecht eine einzige Art ist. Und die Kampflosigkeit, wie sie im Tierreich zu finden ist, muss in Bezug auf das ganze Menschengeschlecht erst erreicht werden: ein vollständiger, allumfassender Friede. Nicht der Kampf hat die einzelne Tierart groß gemacht, sondern die gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Dasjenige, was als Gruppenseele in der Tierart als einzelne Seele lebt, das ist friedlich mit sich selbst, das ist die einheitliche Seele. Nur die menschliche individuelle Seele ist in diesem physischen Sondersein eine besondere.

Das ist die große Errungenschaft für unsere Seele, die wir aus der spirituellen Entwicklung uns aneignen, dass wir in Wahrheit erkennen die gemeinschaftliche Seele, welche das ganze Menschengeschlecht durchzieht, die Einheit in der ganzen Menschheit, die wir nicht als unbewusstes Geschenk empfangen, sondern die wir uns bewusst erringen müssen. Diese einheitliche Seele im ganzen Menschengeschlecht wahrhaft und wirklich zu entwickeln, das ist die Aufgabe der geisteswissenschaftlichen (anthroposophischen) Weltanschauung. Das spricht sich in unserem ersten Grundsatz aus: einen Bruderbund zu gründen über die ganze Erde hin, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Farbe und so weiter. Das ist die Anerkennung der Seele, die der ganzen Menschheit gemeinsam ist. Bis in die Leidenschaften hinein muss die Läuterung stattfinden, die es dem Menschen selbstverständlich macht, dass in seinem Bruder die gleiche Seele lebt. Im Physischen sind wir getrennt, im Seelischen sind wir eine Einheit als Ich des Menschengeschlechtes. Aber nur im wahren wirklichen Leben können wir das erfassen und uns da hineinfinden...«

Quelle: GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, 12.10.1905, S. 46-53


 

 

 

 

Mit der Konzeption und dem Verlauf der Embryonalzeit, Geburt und Jugend, sowie der daraus im weiteren hervorgehenden Biographie ergreift die geistige Wesenheit des Menschen den Leib als Werkzeug ihrer Schicksalsgestaltung, bis sie diesen im Tod wieder verlässt.

 

Das Ergreifen des Leibes des Menschen durch seine geistige Wesenheit und der Aufbau der leiblichen Wesenheit des Menschen erfolgt nicht einmalig, sondern rhythmisch gegliedert, besonders deutlich bemerkbar in den Sieben-Jahres-Rhythmen der Kindheit und der Jugend, die mit dem 14. Lebensjahr zur Erdenreife und mit dem 21. Lebensjahr zum Ende der Jugend, dem Erwachsen-Sein führt. Dieser sehr deutliche Rhythmus wird danach immer undeutlicher und erreicht einen ersten Abschluss mit der Menopause der Frau um das 49. Lebensjahr. Im Verlauf der Biographie ergeben sich daraus die unzähligen Lebensrhythmen des menschlichen Leibes. Einer der auffälligsten Rhythmen des Menschen ist der Schlaf-Wach-Rhythmus, bei dessen Vollzug die geistige Wesenheit des Menschen im Schlaf durchschnittlich einmal am Tag die Selbstkontrolle völlig aufgibt, weil sein Geist in die Welt seiner Herkunft, in den geistigen Kosmos zurückkehrt. Im Durchschnitt verbringt so der Mensch etwa ein Drittel der Zeit seines irdischen Lebens von seiner Geburt bis zu seinem Tod im geistigen Weltall.

 

Der Schlaf-Wach-Rhythmus wiederholt die Geburt und den Tod des Menschen im Tagesmaßstab und ist in sofern ein Bild für den Reinkarnationsrhythmus des Menschen. Dichter und Musiker haben deshalb auch schon den Schlaf als den kleinen Bruder des Todes geschaut.

 

Das Ergreifen des Leibes durch die geistige Wesenheit des Menschen erfolgt mittels einer dritten, die beiden ersteren verbindenden, der seelische Wesenheit des Menschen, die man auch als den sich im irdischen Leibe erlebenden kosmischen Geist begreifen kann. Die seelische Persönlichkeit hat mit der geistigen Individualität des Menschen gemein, dass sie unräumlich ist. Mit der leiblichen Wesenheit hat sie gemein, dass sie der Zeitlichkeit unterliegt. Die Seele des Menschen hat also an beiden, an der leiblich-räumlichen, wie auch an der geistig-ewigen Wesenheit des Menschen Anteil.

 

Dadurch gliedert sich die Seele des Menschen dreifach: Mit ihrem untersten Glied, genauer: Mit den Sinnen ist sie dem Leib verbunden. Mit ihrem obersten Glied, dem Selbstbewusstsein, ist sie dem Geist verbunden, denn sie erlangt die Fähigkeit, sich selbst wie einen Fremden von außen zu betrachten. In ihrer Mitte, im Gemüt, lebt sie in sich selbst: In ihren Gedanken, Erinnerungen, Urteilen, Gefühlen und Motiven.

 

Die irdische Biographie der Seele vollendet sich mit dem Tod des Leibes, wonach eine Quintessenz ihres Willens der geistigen Wesenheit des Menschen in den geistigen Kosmos folgt. Schon im täglichen Schlaf verbindet sich die Seele mit ihrer geistigen Wesenheit und folgt ihr in den geistigen Kosmos, ja, muss ihr sogar folgen, denn Schlaflosigkeit ist tödlich für den Menschen. Das zeigt die so genannte Agrypnia letalis, eine genetisch bedingte Schlaflosigkeit.

 

Nicht nur durch Schock oder Krankheit, sondern im Vollzug der ganz normalen Gesundheit und letztlich des Lebens verlieren wir also das Selbstbewusstsein mindestens einmal täglich, genau genommen sogar mindestens viermal in jeder Nacht, nämlich dann, wenn wir in der Phase des traumlosen Schlafes sind: In jedem Schlafzyklus, bestehend aus Leichtschlaf, Tiefschlaf, Traumschlaf und kurzem Erwachen, wiederholt sich dieser ganz normale, uns erquickende Bewusstseinsverlust des Schlafes, den Goethe in den Versen der 1. Szene des  2. Teiles seiner Tragödie mit den Worten meint, die Ariel zu den Elfen spricht, während Faust sich dem Heilschlaf hinzugeben sucht:

 

"Die ihr dies Haupt umschwebt umschwebt im luft'gen Kreise,

Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,

Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,

Entfernt des Vorwurfs glühend bitt're Pfeile,

Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.

Vier sind die Pausen nächtiger Weile,

nun ohne Säumen füllt sie gnädig aus."

 

Paradox ist hierbei die Wahrheit, dass der Schlaf einer der wichtigsten Garanten der Kontinuität des Selbst-Bewusstseins ist: «Wir wissen aus dem äußeren Leben, dass schon ein gehörig langer Schlaf notwendig ist, wenn nicht das Ich-Bewusstsein immer unkräftiger und unkräftiger gemacht werden soll, wenn es nicht den Charakter annehmen soll, den man so bezeichnen könnte, dass es durch einen gestörten Schlafzustand zu stark hingegeben wird an die Eindrücke der Außenwelt.» (R.Steiner: 1919a, Vortrag vom 29.8.1919).

Die regelmäßige, komplette Unterbrechung des Wach-Bewusstseins durch den Schlaf ist nicht nur gesundheitsfördernd, sondern nach heutigem Wissen sogar lebensnotwendig, so dass die Nicht-Erfüllung dieser Anforderung von tödlicher Konsequenz ist, obwohl aus naturwissenschaftlicher Sicht bis heute nicht einleuchtet, warum (Näheres hierzu siehe H. Brettschneider 2010).

 

Mit ihrem Vorstellen spiegelt die Seele des Menschen die Natur als Schöpfung, durch ihr Wollen gestaltet und verändert sie nicht nur die äußere, sondern auch ihre eigene Natur, im Fühlen erlebt sie sich selbst.

 

Anthroposophie ist dennoch nicht bloß Philosophie, wie oft angenommen, auch keine Religion, wie gerne behauptet wird, sondern ein Kulturimpuls, der die ehemalige Einheit von Religion, Kunst und Wissenschaft erneuern soll.

 

Was bedeutet das: Anthroposophie ist ein Kulturimpuls?

 

In seiner Autobiographie (Rudolf Steiner: Mein Lebensgang. Eine nicht vollendete Autobiographie, mit einem Nachwort herausgegeben von Marie Steiner, 1925) beschreibt Rudolf Steiner unter anderem, wie er mit der Gabe geboren wurde, die geistige Welt unmittelbar wahrzunehmen.

 

Aus der damit gegebenen zweifachen Weltsicht ergab sich der beispiellose geistige Umkreis und Reichtum der Unternehmungen Rudolf Steiners, die ihn von der Begründung einer neuen Architektur, einer völlig neuen Kunstgattung: der Eurythmie, über die Begründung der Waldorf - Pädagogik und der biologisch - dynamischen Landwirtschaft, der anthroposophischen Psychologie und Medizin bis hin zur Grundlegung einer bis dahin unbekannten Kunst, der von der Gestaltung der Sprache  abgelauschten EURYTHMIE. 

 

In der Eurythmie wird als Bewegung bewusst ergriffen und auf die Willenstätikeit der Seele in den Leibesbewegungen übertragen, was der LOGOS - BEGRIFF des Johannes Evangeliums mit "Gott" meint.
Was Gott auf diese Weise durch seine Kraft hervorbringt, wenn der Mensch das Sprechen erlernt, ist für den Menschen bestimmt, dass er es bewusst aus seiner individuellen Natur hervorbringe. 

 

Das ist die große Errungenschaft für unsere Seele, die wir aus der spirituellen Entwicklung uns aneignen, dass wir in Wahrheit erkennen die gemeinschaftliche Seele der Sprache, welche das ganze Menschengeschlecht durchzieht, die Einheit in der ganzen Menschheit, die wir nicht als unbewusstes Geschenk empfangen, sondern die wir uns bewusst erringen müssen. Diese einheitliche Seele im ganzen Menschengeschlecht wahrhaft und wirklich zu entwickeln, das ist die Aufgabe der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, der Anthroposophie. Das spricht sich in unserem ersten Grundsatz aus: einen Bruderbund zu gründen über die ganze Erde hin, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Farbe und so weiter. Das ist die Anerkennung der Seele, die der ganzen Menschheit gemeinsam ist. Bis in die Leidenschaften hinein muss die Läuterung stattfinden, die es dem Menschen selbstverständlich macht, dass in seinem Bruder die gleiche Seele lebt. Im Physischen sind wir getrennt, im Seelischen sind wir eine Einheit als Ich des Menschengeschlechtes. Aber nur im wahren wirklichen Leben könne wir das erfassen und uns da hineinfinden.«

GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, 12.10.1905, S. 46-53


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Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort "Anthroposophie" *) soviel wie: "Menschenkunde". Dieser ins deutsche übersetzte Terminus wird innerhalb der Anthroposophie jedoch nur für die anthroposophische Anthropologie des Menschen verwendet. Sofern aber dabei der ganze Kosmos und alle Inhalte dessen, was sich durch die übersinnliche Forschung erfahren lässt, gemeint ist, wird "Anthroposophie" auf deutsch mit dem Ausdruck "Geisteswissenschaft" bezeichnet. (Dieser Ausdruck darf aber nicht mit dem Ausdruck "Geisteswissenschaft" = Philologie verwechselt werden, wie sie heute auf Universitäten praktiziert und gelehrt wird. Der Geistbegriff der universitären Philologie ist mehr oder weniger auf das beschränkt, was Menschen je gedacht und geschrieben haben. Der Geistbegriff der Anthroposophie schließt im Unterschied dazu auch den Logos**) als Begriff mit ein, den die physische Substanz schaffenden, bildenden und gestaltenden Geist, wie er zum Beispiel im Johannes-Evangelium des Neuen Testamentes beschrieben wird.

 

Wegen dieses Bezuges der Anthroposophie zum Johannes-Evangelium des neuen Testamentes sollte die erste Hochschule für Geisteswissenschaft "Johannes-Bau" heißen. Ihr Bau war in München geplant, wurde aber behördlich nicht genehmigt. Als es dann gelang, die geplante Hochschule in Dornach/Schweiz zu errichten, erhielt deren Bau den Namen "Goetheanum", weil der anthroposophische Kulturimpuls sich als Fortsetzer des von Johann Wolfgang von Goethe ***) eingeschlagenen Weges einer Synthese von Kunst und Wissenschaft  versteht, der gewissermaßen eine Synthese aus Wissenschaft und Religion erreicht. Denn Wissenschaft meint den reflektierenden, Kunst den schaffenden, und Religion den allumfassend schaffenden, reflektierenden, und liebenden  Geist.

 

Als ein Beispiel für den Beitrag der Anthroposophie zur "Kultur" im engeren Sinne sei angeführt: Wer kennt nicht die leidige Diskussion darüber, welches der Auftrag der Kunst sei, und wie Kunst zu sein habe: schön oder hässlich? Für den Anthroposophen ist das eine falsche Alternative. Er möchte, dass Kunst in allem gesehen wird, das der Mensch aus Liebe zum Tun, aus Liebe zum Dialog, aus Liebe zum Leben vollzieht.

 

Auch für die Medizin war die Fähigkeit Rudolf Steiners, das Zusammenwirken des Geistigen mit dem Physischen unmittelbar zu beobachten bahnbrechend, weil seitdem ein bis dahin als unüberbrückbar empfundener Zwiespalt in der Selbsterkenntnis und in der Beurteilung der Krankheiten des Menschen ganz neu angegangen werden kann: Ist der Mensch nur ein physisches Wesen, oder ist er auch Teil einer geistigen Realität? Sind die Krankheiten des Menschen ausschließlich physisch und psychisch, oder sind sie auch geistig, das heißt im Zusammenhang von Reinkarnation und Karma, und in der Wechselwirkung mit geistigen Wesen verursacht?****).

 

Wie man mit der dreifach gegliederten Wesenheit des Menschen auf medizinischem Tätigkeitsfeld umgehen kann, ist in meinen Kapiteln "Integrative Medizin" und "Die Dreigliederung in der Arzneitherapie" zu finden.

 

Wie sich der einzelne Mensch als eine dreifach gegliederten Wesenheit erkennen kann, ist in den Kapiteln "Dreigliederung des Menschen" und "Theosophie" dargestellt.

 

Wie man die Frage der Willensfreiheit des Menschen dreifach differenziert angehen muss, um nicht einer unprofessionellen Pauschalisierung dieser Frage, und damit einer Begriffs-Verwirrung anheim zu fallen, ist in dem Kapitel "Philosophie der Freiheit" zu finden.

 

Dass die Wissenschaft weder im physikalischen Monismus, (Monismus =Einseitige Weltanschauung, physikalisch= "Alles ist pysikalisch, insbesondere auch die Seele") noch im bürgerlichen Dualismus aus Natur- und Geisteswissenschaft ihr Heil findet, wird in Steiners Frühwerk "Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung" als materialistischer Niedergang der Menschheitskultur ausführlich erläutert.

 

Das hier angeschnittene Thema: "Anthroposophie als Kultur-Impuls" wird in Ergänzung und Erweiterung der soeben vorgebrachten Gesichtspunkte auf meiner Seite "Anthroposophie und Kultur" weiter ausgeführt.

 

*) Das Wort "Anthroposophie" ist zusammengesetzt aus "Anthropos" = Mensch und "Sophia" = Weisheit. Es wurde historisch erstmalig von I.P.V. Troxler (1780-1866) in seiner "Naturlehre des menschlichen Erkennens oder Metaphysik" (1828) gebraucht. Von G. Spicker (1840-1912) erhielt dasselbe Wort (1872) die Bedeutung: "Der Philosophie höchstes Ziel ist Selbsterkenntnis oder Anthroposophie. Ihr höchstes Ziel ist Selbsterforschung und Selbsterziehung (...) und nur insofern sie dies tut (...) ist (sie) Mutter und Königin aller Weisheit und Tugend" (Die Philosophie des Grafen Shaftsbury). Sodann folgte 1882 die von R.Zimmermann (1824-1898) veröffentlichte "Anthroposophie im Umriss", die sich als Philosophie sowohl von der "Theosophie" (zusammengesetzt aus "Theos" = Gott und "Sophia" = Weisheit), als auch von der "Anthropologie" (Wissenschaft vom Menschen) abgrenzt.

Bemerkenswert im Zusammenhang dieser Wortbildungsgeschichte ist, dass Rudolf Steiner seinen ersten von insgesamt über 5000 Vorträgen über "Anthroposophie" am 19.10.1902 hielt, ab Oktober 1902 bis 1912 als Generalsekretär der "Theosophischen Gesellschaft in Deutschland" wirkte und 1904 das zentrale Werk der Anthroposophie unter dem Titel "Theosophie" veröffentlichte (siehe dort auf dieser Homepage). Erst 1913, nach der Trennung von der Theosophischen Gesellschaft, folgte die Begründung der "Anthroposophischen" Gesellschaft".

 

**) Siehe zum Beispiel hierzu den Vortragszyklus von Rudolf Steiner: "Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes",12 Vorträge, Dornach 1923 (GA 230)

 

***) Es gibt Vorträge Rudolf Steiners, in der dieses Anknüpfen der Anthroposophie an Goethe durchaus auch mit herber Kritik an der Person Goethes, am deutschen Nationalcharakter und am mitteleuropäischen Humanismus verbunden ist: "Die Deutschen sind daran zugrunde gegangen, dass sie es auch mitmachen wollten mit dem Materialismus, und weil sie kein Talent haben zum Materialismus. Die anderen haben gute Talente zum Materialismus(...)Die Deutschen weichen in der Regel dann zurück, wenn es ihnen heilsam wäre, kühn vorzuschreiten, und sie stürmen furchtbar stark vor, wenn es ihnen heilsam wäre, sich zurückzuhalten(...)die Deutschen haben Stoßkraft durch die Jahrhunderte gehabt, aber nicht die Fähigkeit, die Stoßkraft durchzuhalten. Goethe konnte das Urphänomen hinstellen, aber es nicht bis zu den Anfängen der Geisteswissenschaft (Anthroposophie) bringen. Er konnte eine Geistigkeit entwickeln, wie zum Beispiel in seinem "Faust" oder seinem "Wilhelm Meister", welche die Welt hätte revolutionieren können, wenn die rechten Wege gefunden worden wäre. Dagegen brachte es die äußere Persönlichkeit dieses genialen Menschen nur so weit, dass er in Weimar Fett ansetzte. . ." (Rudolf Steiner: Die Sendung Michaels, Vortrag vom 15.12.1919, GA 194)

 

****) Zur Einführung in diesen Fragenkreis sei empfohlen: Rudolf Steiner:

Die Philosophie der Freiheit (Rudolf Steiner Gesamtausgabe Nr 4). Dieses Buch war z.B. für mich entscheidend, weil ich damals, bevor ich es las, ein strikter Gegner der Esoterik war, mich aber überzeugen ließ, weil dieses Buch vom Denken ausgeht, insofern also ganz normal wie ein Philosophie-Buch geschrieben ist.

 

 

Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit (1911), Gesamtausgabe 15, Rudolf Steiner Taschenbuch Nr 614

 

In diesem Werk werden die Krankheiten des Menschen als die "Geschenke" der höheren Hierarchien des Kosmos gesehen, die dem Menschen die Möglichkeit geben, aus seinen Fehlern zu lernen.

 

Fernerhin zur weiteren Vertiefung desselben Themas:

Rudolf Steiner: Die Offenbarungen des Karma, Hamburg 1911, Gesamtausgabe 120, Rudolf Steiner Taschenbuch Nr. 620

 

Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, 1924, Band I-VI, Gesamtausgabe 235-240, auch zT. als Rudolf Steiner Taschenbücher erhältlich.

 

Die beste mir bekannte Einführung in die Anthroposophie, die nicht von Rudolf Steiner selbst stammt, ist von Hans Bonneval verfasst und heißt: "Wahrheit heilt!"

 

Dieses Buch ist erst 2014 erschienen im BoD Verlag unter der ISBN: 978-3-7357-2874-6

 

Wer dieses Buch mit ins Bett nimmt, verbringt die ganze Nacht im Stehen!

 

Von Hans Bonneval existieren auf  You Tube 2 Filme, die ich unbedingt empfehlen kann:

https://youtu.be/asL0XH_VjB4  

https://youtu.be/3TPYb2Dtdtc 

 

In Ergänzung dazu ist auch das Werk des Philosophen ARISTOTELES erwähnenswert, der in der ersten Phase des Niederganges der antiken Mysterienweisheit lebte, für die es noch selbstverständlich war, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist. 

 

Als erster Philosoph der Weltgeschichte entwickelte ARISTOTELES in einem seiner Grundwerke namens "Metaphysik" eine empirische Erkenntnistheorie, wie der Mensch zur Wahrheit auf dem Wege der sinnlichen Wahrnehmung und des Denkens kommen kann.

 

Noch dessen Lehrer PLATO war vom Standpunkt der Mysterienweisheit aus, den er in seinem  berühmten "Höhlengleichnis" darstellte, extrem pessimistisch gegenüber jeglicher Möglichkeit des Menschen, durch Sinneswahrnehmung und Denken zu einer eigenständigen, kreativen und wirklichkeitsgemäßen Weltsicht zu gelangen. Wegen dieses Skeptizismus wird PLATOS "Höhlengleichnis" besonders bereitwillig von materialistisch eingestellten Philosophen und Psychologen zitiert.  

 

ARISTOTELES hingegen beschrieb den Erkenntnisprozess des Menschen als eine Willenstatsache, also im Unterschied zu Karl Marx, der sich ja in seinem  Hauptwerk "Das Kapital" damit brüstete, die bestehende Welt zu ändern, wohingegen er die Philosophen, die ihm vorangingen, dadurch abqualifizierte, sie hätten die bestehende Welt nur jeweils verschieden interpretiert.

 

Dabei konstatierte ARISTOTELES erstens, dass die Menschen, die Sinneswahrnehmungen haben, der Wahrheit näher kommen können, als jene, die diese nicht haben. Zweitens hebt er hervor, dass diejenigen, die sich an ihre Sinneswahrnehmungen erinnern, der Wahrheit näher kommen, als jene, die das nicht können.

 

Abgesehen davon, dass viele heutige Philosophen und Psychologen durch ihren Skeptizismus gegenüber dem Wahrheitsstreben des Menschen zu (gottlob erfolglosen) Totengräbern der Naturwissenschaften und damit auch der modernen Menschheits-Zivilisation geworden sind, erweist sich ARISTOTELES mit seiner zweiten Aussage als ein brillanter Beobachter, der offenbar schon den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Empfindung kannte:

 

Einerseits gehören nämlich unsere Wahrnehmungen  der Außenwelt genauso an, wie zum Beispiel die Kräfte, die Schwärzung der Silbersalze auf einem fotographischen Film durch Lichtwirkung erzeugen, weil beide, die optischen Reizungen des Gesichtssinnes und die Schwärzung fotographischer Filme, nur auftreten, solange das Licht aus der Außenwelt vorhanden ist.

 

Die Lichtempfindungen aber nehmen wir im Unterschied zu den bloß passiven Sinnesreizen als unser seelisches Eigentum, als unsere Erinnerungen aktiv mit, so dass wir mittels dieser Empfindungen jederzeit fähig sind, nicht nur Gegenstände, sondern auch Prozesse, also auch den Zeitverlauf der Verwandlung, das Vorher und das Nachher von Entwicklungsprozessen in uns selbst und in der Umwelt zu bemerken.

 

Mit dieser Beobachtung gelingt es ARISTOTELES wie nebenbei, die Existenz der menschlichen Seele nachzuweisen, denn ohne Seele kann es keine Erinnerung geben, auch wenn dafür selbstverständlich ein intaktes Nerven- und Sinnessystem vorhanden sein muss. Das entdeckt zu haben, ist im Vergleich zum platten Materialismus, der allenthalben in den Naturwissenschaften vorherrscht, eine echte Heldentat!

 

Drittens kommt ARISTOTELES zu dem Resultat, dass dieser von ihm beschriebene Erkenntnisprozess erst dann vollständig ist, wenn auch das Denken ins Spiel gebracht wird, also das menschliche Ich, dessen Realität bis heute ebenfalls von vielen Philosophen und Psychologen noch bezweifelt wird. Ist aber seine Psychologie überhaupt wahrhaftig, kann seine Philosophie überhaupt Wissenschaft sein? 

 

ARISTOTELES bezeichnet den Dreischritt aus Wahrnehmung, Erinnerung und Denken als "Erfahrung", die zur "Philosophie" (wörtlich: die Liebe zur Wahrheit) dem Erkennen der Wahrheit führt. Man könnte meinen, das sei eine Geschmacksache. Eine Geschmacksache ist sie aber nur bei ungenauer Selbstbeobachtung, denn der forschende Mensch, der sich durch die Liebe zur Wahrheit leiten lässt, konsumiert die Wahrheit nicht bloß, sondern erschafft sie auf zwei Wegen: Auf dem Wege der inneren Läuterung, wie dies der Künstler tut, oder auf dem Wege der Wahrnehmung, wie dies der Naturwissenschaftler tut. 

 

Deshalb bedeutet der von ARISTOTELES neu erschaffene Begriff der "Philosophie"  wörtlich: "Liebe zur Wahrheit."

 

Eine "Erfahrung", die unter Zwang entsteht, kann aber nicht wahr sein! So gerät ARISTOTELES ins Zweifeln, denn - so wendet er gegen sich selber ein - den natürlichen Zwängen könne nur der Schöpfer selbst, aber nicht irgend ein Mensch entgehen. Aber schließlich entwickelt er aus diesem Zweifel die Einsicht: In der Realität können wir zwar nicht den natürlichen Zwängen entkommen, aber wir können das Ideal der Liebe, und damit auch das Ideal der Freiheit erschaffen, denn niemand kann zur Liebe gezwungen werden! - So wird ARISTOTELES zum ersten Philosophen und Psychologen der Menschheitsgeschichte, der sich selbst überzeugt hat: Unsere Willensfreiheit mag physisch unmöglich sein, aber im Willen, d.h. geistig erschaffen wir sie in den Idealen einer zukünftigen Menschheitskultur! Und daraus wird zukünftig eine Moral, die zwar nicht göttlichen Ursprungs, aber am Gleichnis des Göttlichen gebildet ist, wenn wir den Weg der empirischen Erkenntnis, der kreativen Suche nach der Wahrheit beibehalten!

 

Wenn ich das "Höhlengleichnis" des PLATO richtig verstanden habe, wird darin von PLATO der Mensch so dargestellt, als ob er in einer Höhle gefesselt sei und infolgedessen nur in eine Richtung blicken könne. Und da das Licht der Erkenntnis, das nach PLATO von den unveränderlichen, ewigen Urbildern der geistigen Schöpferwelt ausgeht, in diesem Gleichnis sein Licht aber nur vom Rücken des Menschen her in das Innere der ansonsten dunklen Höhle scheinen lässt, vermag der Mensch in diesem Gleichnis nur die Schatten der göttlichen Ideen zu erblicken, diese selbst aber nicht.

 

Aber eine sehr überraschende Entdeckung verdanken wir dennoch dem großen PLATO: Den Prozess des Vorstellens. Diesen sieht PLATO als Beweis der Vorgeburtlichkeit des Menschen, der in einer über-physischen  Welt aufgewachsen sein muss und diese Erinnerung der geistigen Welt im Prozess des Vorstellens dokumentiert.

 

In der Gegenüberstellung des PLATO und des ARISTOTELES wird also ein Urgegensatz innerhalb des Menschenwesens sichtbar, der im Gegensatz des Bewussten und des Unterbewussten uns alle betrifft: Sind wir das, was wir denken, oder sind wir das, was das Leben aus uns macht? 

 

Auch ARISTOTELES erkennt die Existenz höherer, das heißt: uns übergeordneter Mächte an. Aber in seiner Erkenntnis-Theorie gibt es die Ideale,  aus denen wir die Zukunft frei gestalten können. Dieser Gegensatz erfüllt mit seiner Problematik die ganze Psychologie, Ethik und Weltsicht der Anthroposophie.

 

Hier fällt mir gerade noch ein Höhepunkt unter den tausenden von Höhepunkten ein, die Bonnevals Buch zu bieten hat: Er übersetzt den Satz des SOKRATES anders als sonst üblich: "Ich bin mir dessen bewusst, wenn ich etwas nicht weiß", und erzählt aus seiner Kindheit, dass er sich schon als Pennäler darüber geärgert hat, dass SOKRATES angeblich gesagt haben soll: "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Eine solche Aussage wäre vom Standpunkt der Logik der reine Unsinn: Wie könnte SOKRATES denn sicher sein, nichts zu wissen, wenn er nichts weiß? - Und in ähnlicher Weise fährt Bonneval das Argument an die Wand, es gäbe keine Wahrheit: Woher soll man denn die Sicherheit einer Aussage nehmen, und sei diese Aussage nur ein skeptisches "Nein", wenn es keine Wahrheit gibt? 

 

Und mir fällt ein Tagtraum ein, den ich durch die Lektüre von Bonnevals Buch bekam:

 

Ich ging an die Uni in München und hörte mir einen Vortrag von Prof. Wolf Singer, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Frankfurt an, der behauptete, er könne keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Menschen und einer Qualle feststellen. Als sein Vortrag zuende  war, wurde zur Diskussion aufgerufen und ich ging ans Mikrofon und fragte:

 

"Sehr geehrter Herr Professor, leider bin ich nur Internist, und so weiß ich gar nicht, seit wann bekannt ist, dass nicht nur Menschen über Quallen, sondern auch Quallen über Menschen nachdenken?".

(wird fortgesetzt)

 

Anthroposophie und Kultur

 

Ist Anthroposophie eine Sekte?

 

Erkenntnistheoretische Grundlagen

 

Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung

 

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