DIE WAHRHEIT

Anfang der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts trat eine noch junge Bibliothekarin unserer Arbeitsgruppe über Anthroposophie mit der Frage bei: Worauf will eigentlich die Anthroposophie hinaus?

Mir persönlich war diese Frage unangenehm, denn ich war einfach nicht darauf gefasst, einen Menschen kennen zu lernen, der mit aller Macht danach strebte, die Anthroposophie auf eine einzige, letzte Wahrheit festzulegen. Inzwischen sind mir aufgrund dieser Fragestellung noch ungemein viele Textstellen der Schriften und Vorträge Rudolf Steiners aufgefallen, die davor warnen, den Begriff der Wahrheit irgendwie definieren zu wollen, bis ich lernte, anhand des Buches "Metaphysik" von ARISTOTELES, das mit der Erklärung des Begriffes der "Philosophie" als "Liebe zur Wahrheit" beginnt, zu verstehen, warum man über die Wahrheit nicht im Sinne einer Definition sprechen darf, sondern nur, was ARISTOTELES  tatsächlich in seinem Buch Namens "Metaphysik" versuchte, über die Bedingungen nachdenken sollte, die auf der Suche nach der Wahrheit eingehalten werden müssen. Die Wahrheit selbst kann hingegen nicht definiert werden, da sie einer Evolution unterliegt, der das ganze Universum und selbst die Engel, Erzengel, Archai und Götter unterliegen.

Unter dieser letzten Aussage habe ich mir lange Zeit nichts vorstellen können, bis ich auf die Aussage Rudolf Steiners gestoßen bin, dass die Geistwesen vor Christus nie erlebt haben, wie es ist, den Tod durchzu- machen, wie wir Menschen, und dass dieses Erlebnis die Grundlage dafür ist, dass Christus uns Menschen und unsere Angst vor dem Tod  durch seinen eigenen Gang durch den Tod verstehen lernte. Die Definition dessen, was Wahrheit ihrem Inhalt nach ist, ist als solche also schon eine Unwahrheit (siehe auch das Kapitel "Ist Anthroposophie eine Ideologie?" auf dieser Website).

 

ARISTOTELES kommt folgerichtig innerhalb seines Buches "Metaphysik" zu dem Ergebnis, dass ein Mensch die Bedingungen der Liebe gar nicht erfüllen kann, weil kein Mensch, sondern nur ein Gott gegenüber den Zwängen des Daseins frei sein könne, um wirklich zwanglos, das heißt, nur aus Liebe zur Wahrheit und in völliger Freiheit nach derselben zu suchen. 

 

Worauf ich mit diesen Worten hinweisen will, ist das Johannes-Evangelium des Neuen Testamentes. Es wird nicht möglich sein, diesen Text in seiner Gänze wiederzugeben, ohne damit wiederum zu verdecken, was er aussprechen will. Deshalb kann ich ihn nur fragmentarisch wiedergeben. Und wer der Meinung ist, dass das, was ich wiedergebe, noch zu wenig ist, der möge es mir sagen.

 

Ich zitiere aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums, Vers 18 und 19:

 

"Den göttlichen Weltengrund hat nie ein Mensch mit Augen geschaut.

Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Weltenvaters war, er ist der Führer zu diesem Schauen geworden."

 

Wer mehr über dieses Thema erfahren will, dem sei die Lektüre des Buches: "Das Johannes-Evangelium", Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe Nr 103 aus dem Jahre 1910 wärmstens empfohlen.